Ein Paradies auf Zeit

Ein Paradies auf Zeit – doch die Eindrücke sind nachhaltig.

Ein Bericht vom Ozora-Festival 2013

 

Gia Simetzberger, August/September 2013

 

Diesen Sommer plante ich nichts Besonderes. Nach vielen arbeits- und reiseintensiven Monaten wollte ich Kraft tanken und hatte es auch dringend nötig.  Anders als in den vergangenen Jahren war mir gar nicht recht nach Kultur, künstlerischen Workshops, Weiterbildung, Wandern, Campen und Rockfestivals zumute. Umso größer war aber die Sehnsucht nach einer Auszeit, die mehr Entspannung, aber auch mehr sportliche Bewegung  und möglichst allerlei Unterhaltung und Fröhlichkeit in mein Leben bringen möge.  Kein großer Aufwand, eher das Treiben anderer beobachten, genießen, dabei sein.

Junge Leute empfahlen mir, im August nach Ozora zu fahren. Da fände ein etwas anderes Festival statt. Mag sein, meinten sie, das mir die Musik nicht gefiele, aber das Drumherum… für mich als Künstlerin, sagten sie, sei das sicher inspirierend. Sie waren im Vorjahr dort, fanden Gefallen am Tanzen, an den Gebäuden, an den Installationen und vor allem an der nächtlichen Beleuchtung,  berichteten von freundlichen Menschen, erstaunlicher Sauberkeit  des Areals und von moderaten Preisen. Gesprochen werde dort fast die ganze Zeit nur Englisch.

Ich sah mir zur Einstimmung offizielle Videos der Vorjahre an und war erstaunt, wie kreativ das Festivalgelände gestaltet  wurde, hörte mir die Interviews etlicher Teilnehmer an und entschloss mich ohne zu zögern zur Teilnahme. Als der Monat August nahte, war ich schon ziemlich gut über die Goa-Szene und über Tribal Art informiert, auch welche Klamotten man trägt, um sich zu den Rhythmen der Psy-Trance-Musik frei zu bewegen., und eine Kärntner Diplomarbeit, gefinden in den Weiten des Internets, gab mir Einblick in den Ursprung und in die Philosophie dieser „Subkultur“, die bisher einfach an mir vorbeigegangen ist.

Also doch wieder Campen, mit allem, was dazu gehört! Ich hatte möglichst geeignete Kleidung zusammengetragen und war gespannt, wie sie sich bewähren wird. Alles, nur nicht peinlich auffallen unter überwiegend blutjungen Menschen. Wetterprognose: Hitze, Hitze, Hitze, Trockenheit. Und das in der Puszta – ca. 100 Kilometer vom Plattensee enfernt. Aber ich habe ja viele Sprachkurse, Workshops und Symposien in der heißesten Zeit hinter mir, das ist zu schaffen.

Um es kurz zu machen: Nach etwas abenteuerlicher Anreise, weil mich mein Navi kurz vorm Ziel kilometerweit über einen staubigen Feldweg lotste, landete ich zunächst bei einer Polizeikontrolle und kurz danach beim ersehnten Einfahrtstor mit der Aufschrift „Welcome to Paradise!“ Ich bezahlte mein Ticket, erhielt mein Bändchen und fühlte mich auf Anhieb wie zu Hause. Der Zeltplatz am Rand eines Wäldchens fand sich fast von selbst. Bereits am ersten Tag erforschte ich einen großem Teil des Areals und lernte rasch, die Wichtigkeit von Schatten und Wasser zu schätzen. Nie war ich ohne Wasserflasche unterwegs.

Was ich von Fotos und Videos kannte, ordnete sich in realer Wahrnehmung neu. Da war also der Magic Garden, hier der Drachenkopf, hier die Main Stage… Zwischen Hügel eingebettet, breitete sich ein durch die große Trockenheit nicht mehr grünes Paradies aus, abgesehen von den Mirabellen-, Akazien- und Weißdorn-Gehölzen, die aber auch merklich unter der Hitze litten.

Da ich zwei Tage vor dem offiziellen Beginn eintraf, hatte ich Zeit und Ruhe, um mich zu orientieren, und konnte den heimischen Handwerkern und Künstlern zusehen, wie sie werkten. Mit großem Eifer wurde hier noch gehämmert, dort noch gemalt.

Aber eine Bühne, Pumpui genannt und kunterbunt gestaltet, war bereits aktiv. Tag und Nacht gab sie den Festival-Takt vor – wie ein erhöhter Herzschlag, mit kurzen Erholungsphasen zwischendurch. Sie wurde mein liebster Aufenthalt. Drinnen war’s ja schön schattig und wars draußen auch noch so heiß, im Pumpui-Zelt wurde ausgelassen getanzt. Es ist schlicht und einfach unmöglich, eine solche Tanzszene in knappen Worten zu schildern. Ich möchte es auch gar nicht erst versuchen- wen’s interessiert, der möge so wie ich auf Videos, Fotos, Bücher zurückgreifen und sich darüber amüsieren.

Rundum, mit fantasievollen Zelt-Elementen beschattet, könnte man auf Strohballen und Teppichen sitzen bzw. liegen und sich erholen, sich auc mit Getränken und Snacks stärken.

Zwischen  der Kreuzung unterhalb von Magic Garden un Pumpui Stage und der Abzweigung zur Main Stage bauten viele Händler und Catering-Betriebe ihre Stände auf, aber auch Kunsthandwerker belebten die Marktstraße.  Ich hörte Sprachen aus aller Welt und erfuhr, dass Menschen aus nahezu allen Erdteilen zu diesem Festival kamen. Besonders viele waren aus Frankreich und Israel angereist, wo es eine starke Goa-Szene gibt, es waren Italiener da, Slowaken, Norweger, Spanier, Griechen, Deutsche, Australier, Japaner….

Schon bald war ich dem Zauber des Paradies restlos erlegen. Die Versorgung hatte etwas Mühsames, wie bei allen Festivals – aber irgendwie war alles zu schaffen.  Hier konnten die Handys aufgeladen werden, da gab es Wasserstellen, hier die saftigesten Wassermelonen und köstliche Tomaten, dort die Duschen. Das Labyrinth, ein fanstasievoll gestaltetes Maisfeld auf den Hügeln… weiße Segel am Hang, Pappmaschee-Vögel, über einem Pfad auf ein Seil gespannt, abgestorbene Bäume mit den Wurzen nach oben, nachts mit blauen und roten LEDs illuminiert,  ein fröhlichbunter Kinderspielplatz, eine urige überdachte Kochstelle im Freien, ein sehr ungewöhnliches Teehaus, halb Lehmbau, halb Holzbau, mit Grün am Dach, wie aus einem Fennmärchen….  Die strohgedeckte Pyramide, das steinerne „Wheel of Wisdom“, das innen und außen fantasievoll bemalte Csombak-Haus… In einem Wäldchen waren Stoffbilder aufgespannt. Windspiele, ein Ausstellungs-Zelt, auf dessen Eröffnung ich sehnsüchtig wartete.

Die mächtige schilfgedeckte „Chill-Bühne“ mit ruhigeren Klängen mit ihrem hutförmigen Dach, die Pilz, Lichterbäume, der Aussichtsturm… Hängematten, Schaukeln, unregelmäßig modellierte Sitzgruppen unter dern Bäumen… Ein Reich der Kreativität.  Die offizielle Eröffnung wurde äußerst festlich begangen. Eine Absperrung wurde gelöst, und hunderte Festivalteilnehmer rannten über eine große Wiese auf die Main Stage zu, wo eine Feuer- und Akrobatenshow einen unvergesslichen musikalischen Abend einläutete.

An den folgenden Tagen wanderte ich gegen Sonnenuntergang auf den Hügel über der Main Stage, um wie viele andere auch die einzigartige Stimmung zu genießen. Der Blick auf die magische beleuchtete Hauptbühne mit ihren neuen spitzen Strohtürmen, die von Scheinwerfen kaleidoskopartig bestrahlt wurden, umgeben von weitem unbewohnten Steppenland, war unbeschreiblich zauberhaft.  Am Berg die beleucheten kahlen Bäume und riesige bunte Kristall-Formationen, innen beleuchtet.

All das war weit schöner und seelenvoller als ich mir das hätte ausmalen können. Dazu die Freundlichkeit der Menschen, die bis auf wenige Ausnahmen zuvorkommend und hilfsbereit waren, einem das Gefühl vermittelten, Teil einer große Familie zu sein. Ungekünstelt, einfach, ehrlich. „We are one!“ lautet eine der Parolen, die da und dort zu vernehmen ist. Und es ist nicht nur eine Parole. Es liegt in der Luft, es ist zu spüren.

Das gesamte Gelände war faszinierend sauber. Plastikabfälle und Papierfetzen, die sich doch mal auf den Boden verirrten, wurden von einem Putztrupp, der den ganzenTag das Areal abging, aufgesammelt. Duschen und Toiletten waren ausreichend vorhanden.

Das Festivalgelände sollte von allen ohne Spuren (Müll) verlassen werden. Ich erwähne das mit großer Begeisterung, weil ich zahlreiche österreichische Festivals kennenlernte, übersät von Müll und hygienisch unterversorgt. „Das muss so sein, sonst macht es keinen Spass!“ war ein häufig vernommenes Argument. Doch hier war ich in einer anderen Welt – in der alles auch viel Spass macht, obwohl die Natur respektiert wurde.

Unvorbereitet und verblüfft entdeckte ich im Programm bereits am Anreisetag eine Vortragsserie mit großer Themenvielfalt, Meditations- und Yogatechniken, Tanzkursen, Zirkus-Workshops, Zirkus-Aufführungen, Kochworkshops, Kräuterkundliches, Kreativitätsworkshops aller Art, vom Wiederverwerten alter Stoffe und Bodypainting bis zu Keramik und Instrumentenbau, Permakultur-Workshops, Filmvorführungen, ja sogar Theater und Performance standen auf dem Programm, und die beliebten Feuershows, und noch weit mehr.

Nun war ich gefordert: Erholung, Entspannung und Vergnügen, Bewegung – das hätte allein schon als Programm ausgereicht. Zwischendurch war man mit seinem leiblichen Wohl, mit dem Aufladen von Akkus und allerlei sozialen Kontakten beschäftigt und trieb sich auf der Kunsthandwerker- und Händlerstraße herum.

Wir dürften in unsem Paradies an mehreren Tagen bis zu zu 40 Grad gehabt haben und wurden in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag von einem Sturm durchgebeutelt, der fast die ganze Nacht an unseren Zelten rüttelte. Das alles aber hinderte mich und viele andere Lerneifrige nicht, zu möglichst vielen dieser Veranstaltungen zu pilgern und an ihnen teilzuhaben. Alles ging einfach nicht, auch gab es Programmänderungen und dann und wann fand ich zufällig zu weiteren grandiosen Vorführungen, die gar nicht angekündigt waren, vielleicht spontan dargeboten wurden.

Was für eine fantastische Welt für ein neugieriges, erlebnishungriges Wesen wie mich. Was davon konnte ich mit nach Hause nehmen, was ließe sich auch in unserem Umfeld umsetzen?

Wieso hatte ich noch nie von dieser globalen Bewegung erfahren, die so genial Arbeit und Vergnügen miteinander in Einklang bringt? Vermutlich war ich nicht reif! Es ist eine Bewegung,  die eine gewisse innerliche Bereitschaft und lebensbejahende Gestimmtheit voraussetzt. In unserer Region sehe ich nicht einmal ansatzweise eine solche liebevolle, rücksichtsvolle Gemeinschaft verwirklicht und denke darüber nach: Was davon ließe sich vermitteln? Wäre auch ein nachhaltiges, ganzjähriges Paradies ähnlicher Art vorstellbar?

Um nicht ein allzu verklärtes Bild zu hinterlassen: Selbstverständlich gibt es auch Festivalbesucher, die nur zum Vergnügen kommen und nicht viel mitbekommen.  Wie überall im Leben, kommt es auch hier auf den Geist beziehungsweise auf den Horizont an, den man schon mitbringt.

Der Kombucha, den ich in der Outdoor-Gemeinschaftsküche erhielt, wächst und wächst. Am Fenster stehen ein Dutzend angesetzte Öle und Essenzen. Ich bin drauf und dran, Jonglieren, auch mit Feuer, zu lernen – und zum nächsten Festival möchte ich unbedingt aktiv beitragen und bereite mich darauf vor…

 

Lese-Tipps:

Offizielle Webseite

www.ozorafestival.eu – mit Radio Ozora – 2 Streams

weit mehr auf YouTube – offizielle und private Beiträge

Diplomarbeit

an der Uni Klagenfurt über die Goa-Szene – Beschreibung dieser Arbeit von liese – http://35317.net/das-goa-diplom/

global tribe buchinfo

Global Tribe
Technology, Spirituality and Psytrance – Buch  https://www.equinoxpub.com/equinox/books/showbook.asp?bkid=485

GOA – 20 Jahre Psychedelic Trance

Englische Ausgabe/Deutsche Ausgabe – Buchrezension von liese http://35317.net/goa-20-jahre-psychedelic-trance/

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