Orientierung

 

Orientierung (doc)

Schon fast nimmer war, ein Artikel aus dem Jahr 1997!

Beitrag für: Stattzeitung Politik Kultur Europa – Lygia Simetzberger – 25.3.1997

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O du lieber Augustin…

Plädoyer für eine globale positive Grundeinstellung

Orientierungsfragen

Sackgasse der Evolution oder Wendezeit? Prinzip Hoffnung oder Prinzip Weltuntergang? Resignation oder beharrliches Arbeiten an Lösungen? Wissenschaft versus Religion versus Esoterik? Ausweg oder Vernichtung? Oder gar ein Nullsummen-Szenario? Wie fertig werden mit all den globalen Problemen? Und wie bestimme ich, das Individuum, meine Position in dieser Welt, die keine Sicherheit, keine ungestörte Heimstatt bietet, in der Arbeitsdruck und Arbeitslosigkeit wächst, das Tempo der Zeit einem schier die Besinnung raubt?

Es ist unschwer zu erkennen, daß weltweit große Unsicherheit und Verwirrung herrschen. Nicht so offensichtlich für jedermann (wenn auch jene, die auf ihr Gefühl achten, einhellig zu diesem Schluß kommen), aber deutlich wahrnehmbar für solche, die wachsam sind. Das Ende des Kalten Krieges, so meinen Politologen, habe eine gewisse Orientierungslosigkeit zur Folge. Auch der Pluralimus unserer Gesellschaft und die rapide Globalisierung trügen dazu bei. Es sei daher schwierig, neue Ansätze zu finden. Und so könnte man weiter analysieren und Beispiele aufzählen. Ich glaube aber, die Ursachen liegen tiefer.

Wir Erdenbewohner sind unserer Nährmutter – wie wir wohl oder übel erkennen und zugeben müssen – mit unfaßbarer Grausamkeit zu Leibe gerückt. Wenn wir unseren Planeten als Person betrachten, so erfolgte die Ausbeutung und Mißhandlung auf physischer (Rohstoffe, Verschmutzung, Verseuchung), psychischer (unsere Gier und Achtlosigkeit) und mentaler Ebene (unsere disharmonischen Ideen und Weltsysteme). Die Schändlichkeit ruft zum Himmel – und dennoch tun wir recht erstaunt, weil die Erde in Agonie liegt! Erinnert dies nicht an das Verhalten kleiner Kinder, die ihr Spielzeug zerstören? Warum wir uns als Menschheit auf einem parallelen Niveau bewegen, wird mir wohl nie ganz einleuchten.

Strategien

Ich kann es nicht mehr anhören, das oberflächliche Geplänkel um Detaillösungen, die etappenweise mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bis zum Jahr 2010 realisiert werden. Unser Lebensraum ist in größter Gefahr und benötigt ganzheitliche Soforthilfe. Ausgangspunkt sollte das Bekenntnis sein, daß all die Probleme, die uns in unserer Lebensqualität beeinträchtigen und in unsere Existenz bedrohen, von uns Menschen verursacht wurden. Die Dringlichkeit des Handelns müßte uns einen. Sonnenklar – aber funktioniert nicht. Fragt sich, warum.

Die Ungleichgewichte, in die wir immer mehr, immer rascher schlittern, sorgen für Konfliktstoff und trennen uns – und das in dieser brisanten Situation! Die Konstellation ist einfach genial zerstörerisch, als käme sie planmäßig vom Reißbrett. Scheint, als hätte jemand oder irgend etwas Interesse daran, uns gegeneinander auszuspielen.

Bisher war immer vom Kollektiv der Menschheit die Rede. Wir sind aber Individuen. Individuen, die sich in Gruppen zusammenschließen und damit ihr Potential verstärken können. Individuen, die mit großartigen Möglichkeiten ausgestattet sind.

Besonders herausragende Persönlichkeiten zeigten uns immer wieder vor, wie es möglich wird, etwas schier aussichtslos Erscheinendes zu bewirken. Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen ermutigen uns, uns zu engagieren. Es bleibt nur dieser Weg – der Weg der Summe von Einzelkämpfern. Platitüden? Nein – wirklich der Weg, und wieder und wieder bedarf es neuer Motivation, um daran noch glauben zu können in dieser gebeutelten Welt. Es ist ganz gut, sich solcherlei immer wieder vorzusagen, um nicht wieder abzudriften in jene seltsame Verunsicherung, die uns wie ein graues Meer umgibt.

Wir brauchen keine Aggressionen gegen einen äußeren Feind oder gegen eine äußere Gefahr oder gegen uns selbst zu richten – es genügt zu akzeptieren, daß wir alle zur gegenwärtigen Situation beigetragen haben, wir alle, und daraus die Konsequenzen zu ziehen.

Zur Heilung der Welt oder wenn man so will, zur Rettung der Welt – alles beides liest sich gleichermaßen sonderbar pathetisch – habe ich natürlich auch kein Patentrezept anzubieten. Allerdings bin ich davon überzeugt, daß es zunächst nicht auf irgendwelche Modelle oder Rezepte ankommt, sondern auf die Grundeinstellung – und die sollte einer dringenden Korrektur unterzogen werden. Ehe dies nicht geschieht, sind alle schönen neuen Modelle und heroischen Rettungsversuche eine Farce, weil das Gegeneinander und das Argwöhnen über allen verhandlungen schwebt.

Es ist frappierend, daß diese elementare Notwendigkeit im politischen Diskurs zwar mitunter eingefordert wird, daß aber mit faszinierender Regelmäßigkeit keine Anstrengungen zur Umsetzung folgen. Erfreulicherweise ist diese positive Grundeinstellung bei manchen Personen und Initiativen bereits präsent. Für die übrige Menschheit steht das Angebot zu einem entscheidenden Lernprozeß.

Positiver Entwicklungsschritt

Was diese Welt meiner Meinung nach am Allerwenigsten braucht, sind neue Ideologien und Kategorisierungen. Wird angesichts der Notlage alles Bewerten und Beurteilen vergessen, so könnte es zu unserem Erstaunen geschehen, daß wir zu einer echten internationalen Kooperation fähig werden. So bietet die brisante Situation die Chance zu einem positiven Entwicklungsschritt. Beispielsweise kann echte demokratische Zusammenarbeit entstehen. Divergenzen lassen sich leichter bearbeiten, sobald man sich über das Schwarz-Weiß-Geplänkel erhebt.

Wie ist also Orientierung möglich in einer Ära, in der die virtuelle Welt mitunter realer erscheint als die echte, in der Machtblöcke zerfallen sind und neue wachsen, in der allerlei ausufert und außer Kontrolle geraten ist? Für mich ist eine Verankerung, ein Insichruhen verbunden mit der Überzeugung vom eigenen Potential, die Grundbedingung dafür. Denn wie kann man sich ohne diesen Fixpunkt orientieren?

Natürlich wäre es naiv davon auszugehen, daß sich plötzlich alles Mißtrauen in Wohlgefallen auflöst. Selbst positives Denken und Insichruhen können mißbraucht werden, was zu weiterem Gewahrsein gemahnt. Aber wir brauchen diesen Traum, diese Idee, um einen anderen Kurs einzuschlagen. Wir brauchen die Überwindung oder wenn man es will, die Integration von Angst. Was immer für Hindernisse sich auftürmen mögen, die Grundlage ist die unerschütterliche Überzeugung, daß sie überwunden werden.

Klar, wir hätten in mancher Hinsicht rasche positive Veränderungen nötig – ich halte es auch grundsätzlich für möglich, daß dieses oder jenes plötzlich ein „positives Übergewicht“ erhält. An der Zerstörung der Welt arbeiten wir aber auch keineswegs erst seit gestern, nicht immer wird eine Schnellkur möglich sein! Auch läßt sich in einer Welt des freien Willens keineswegs eine globale positive Grundeinstellung verordnen, und so bleibt nur zu hoffen, daß immer mehr Leute – allen Ängsten und Katastrophen zum Trotz – mitarbeiten, denn – es gibt keine Alternative. Und schließlich – auch der liebe Augustin wurde mit dieser Situation auf vorbildliche Weise fertig. Es ist, als hätte jemand seine Story als perfekte Parabel auf unsere nuklearverseuchte Welt ersonnen…

Lygia Simetzberger, 25.3.1997

Apropos:

NGO-Konferenz für eine kernwaffenfreie Gesellschaft“ in Schlaining vom 13.-16. Juni 1997! Details folgen. Veranstalter: ÖSFK mit Ko-Veranstaltern.

Mein nächstes Thema voraussichtlich: Basic Relations. Eine andere Art, Networking zu betrachten.