Kurze Chronik einer Nichtbegegnung

3 Minuten-Text fürs KSV-Literaturfrühstück am 24.062023 in der HLW in Hermagor

https://hermagor.at/freizeit-tourismus/veranstaltungskalender/details/literaturfruehstueck/

Der Versuch einer Harmonisierung
oder
Eine kurze Chronik einer Nichtbegegnung

LS 22 06 2023

Meine mütterlichen Kärntner Ahnen beschlossen vor mehr als hundert Jahren, aus Obervellach nach Hermagor zu ziehen.
Irgendwie seien wir mit „dieser“ Ingeborg Bachmann verwandt, die auch aus Obervellach stammte, erfuhr ich schon als Kind und kümmerte mich nicht weiter darum.
„Diese“ Ingeborg Bachmann, das ist in diesem Zusammenhang als Synonym für „Ingeborg Bachmann ist eine bekannte Persönlichkeit“ zu verstehen.

Im selben Jahr ist die berühmte Autorin geboren wie mein Vater. Ich trat vierzig Jahre später auf die Erdenbühne. Sie, die, Berühmte, mag eine entfernte Tante von mir gewesen sein, oder eine Großtante. Da ich sie nie kennenlernte, keine Verbindung mehr zwischen den Häusern bestand, erschien mir das egal.

Aber: Immer wieder tauchte ihr Name auf, wie ein Phantom. Es schien sich ein wahrer Kult entwickelt zu haben. Alle, die den Namen Ingeborg Bachmann erwähnten, verdrehten die Augen und gerieten in eine Art Verzückung.

Leider hat so etwas bei mir das genaue Gegenteil zur Folge. Immer wenn etwas verherrlicht wird, sträubt sich etwas in mir dagegen. Ergo wollte ich partout nicht eine einzige Zeile von ihr lesen. Das will was heißen bei einem umtriebigen Forschergeist und Bücherwurm!

Irgendwann so ungefähr Mitte Zwanzig siegte dann doch meine Neugier. Ich quälte mich durch den Roman Malina und fand ihn „überhaupt nicht meine Wellenlänge“. Zufällig geriet ich auch noch an eine Bachmannsche Erzählung in einem Sammelband, die hässlich endete und mich schockierte.

Schon in jungen Jahren nervten mich Berühmtheiten, die Getriebene ihres Eifers und ihrer Leidenschaften waren, die ihre unbewältigten Probleme in Geschichten oder Lieder kleideten und tragisch endeten.

Zuweilen sind solche negativen Helden Gegenstand von Schulreferaten. Gerne werden sie posthum hochverehrt. Aber mich erbarmten sie. Ich sah ihren Schmerz in ihren Bildern, hörte ihren Aufschrei in ihrer Musik, fühlte ihr Leid in den Geschichten, und es tat mir nicht gut. Also nahm ich mir in jungen Jahren vor, erst dann mit eigenen Erzählungen zu beginnen, wenn ich ausreichend positiv gestimmt bin und gelernt hatte, Schwierigkeiten zu transformieren.

Irgendwann stieß auf eine knappe Biografie der Autorin und begann zu verstehen, warum sich alles so düster las. Was für ein karges Leben, und was für ein bitterer, selbst herbeigeführter Tod. Davor schon jahrelang auf selbstzerstörerischen Pfaden. Was für eine Tragödie. Sie starb, als ich Mittelschülerin war. Und um meine Großeltern trauerte.

Erst in letzter Zeit ergab sich für mich eine Spurensuche.

Vor fünf Jahren wurde der Berühmtheit im Ort ihrer Abstammung am Dorfplatz ein Denkmal errichtet. Dieses war die erste Sache, die mit Ingeborg Bachmann zu tun hat und mir auf Anhieb gefiel.

Ich suchte auch nach dem legendären Honditschkreuz, das einer frühen Novelle den Namen gab. Noch steht es infolge sonderbarer Ortsbildgestaltung auf verlorenem Posten, was sich ändern soll. Abermals eine tragische Geschichte.

Eine Führung auf den Spuren der jungen Ingeborg Bachmann durch Obervellach war ein weiterer melancholischer Einblick. Und nun, in diesem Jahr…

Die Künstlerin Inge Lasser widmete der Großen wundervolle Bilder, von deren Texten inspiriert.

Ich durfte diese beeindruckende Ausstellung besuchen und auf mich wirken lassen. Sie gab mir den Impuls, Verbindendes zu suchen.

Ich bestellte mir einen Band Gedichte und studierte eine detaillierte Biografie. Siehe da, da fand ich Gemeinsamkeiten. Ingeborg Bachmanns Mutter stammte aus Niederösterreich. Meine Kärntner Großmutter auch! Beide studierten wir in Graz, Innsbruck und Wien. Aber das schien es dann auch gewesen zu sein.

Und die Gedichte? Ja, da zeigt sich in der Tat eine besondere Gabe. Aber ich sehe immer traurige Augen un dein wundes Herz.

Eine Zeit, die uns täglich Mut und Tatkraft abverlangt, in der wir alle Hoffnung brauchen wie einen Bissen Brot, ist jede Zeile Traurigkeit zu viel.

Die Menschen verlangen nach Wahrheit und doch will man sie vielfach nicht hören. Jeder von uns kann für sich entscheiden, welchem Weg er folgt.

Jedes ausgesendete Schöpferwort heischt nach Balance. Die Antwort für die vergeblich Suchende werden Worte der Heilung und Zuversicht sein.

Gemeinsam werden wir zur Wandlung beitragen. Es ist tröstlich zu wissen, dass schon viel Feines geschieht.

Lygia Simetzberger („Gia“)

Anmerkung;

Schwierig, solche Betrachtungne in einen drei-Minuten-Text zu quetschen. Da fehlt einfach die Möglichkeit feine Untertöne einzuflechten.

Mein Vortrag wurde nach dem Satz: „Siehe da, ich fand gemeinsamkeiten“ von der Moderatorin abgewürgt.

Es war definitiv kein Fair Play, denn andere, die ebenfalls gebeten waren, 3-Minuten-Texte vorzutragen, wurde weit mehr Redezeit gewährt.

Es wird mir wohl für immer ein Rätsel bleiben, warum bei diesem Literaturfrühstück Ingeborg Bachmanns Wahrheitsliebe betont wurde, kritische Beiträge aber dennoch unerwünscht schienen, während für Würdigungen und salbungsvolle Gedichte, ja auch bloße Bachmann-Zitate reichlich Zeitraum vorhanden war.

„Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar“ – anscheinend gilt dies aber nicht für einen Kärntner Literatenkreis.

Wie auch immer, dass ich mir mit meinen unschmeichlerischen Betrachtungen nicht nur Feinde geschaffen hatte, zeigte sich nach der Veranstaltung. Da kamen einige Tielnehmer auf mich zu und zeigten sich erfreut, dass ich mich nicht in den Reigen der Schmeichelschwärmer einreihte. Auch kündigte sich Aufklärendes zu meiner Verwandtschaft in Obervellach an.

Ich war übrigens bei weitem nicht die einzige kritische Stimme. Es tat sich ein weites Spektrum auf von absolutem Fan-Tum bis zu sehr persönlich gehaltenen Gedanken über die aktuelle Weltlage und wo wir Menschen hinblicken und tätig werden bzw. Einhalt gebieten sollten.

Die Veranstaltung war der Feier des 50. Todestages von Ingeborg Bachmann gewidmet und auf eine Dauer von zweieinhalb Stunden beschränkt, da anschließend in Obervellach am Dorfplatz ein weiteres Gedenken stattfand.

Die letzte Aussage „Gemeinsam werden wir zur Wandlung beitragen. Es ist tröstlich zu wissen, dass schon viel Feines geschieht…“ war zwar allgemein formuliert, aber speziell gemeint. Nämlich bezogen auf das schwere literarische Erbe der Ingeborg Bachmann, das über unserem Land lastet, und insbesondere das Düstere und Belastende, das Feinfühlige immer noch über Hermagor und Umgebung spüren.

Es gibt tatsächlich Menschen, die sich darum bemühen, diese schweren Energien zu transformieren,sei es mit künstlerischer, sei es mit geomantischer Tätigkeit und manche bemühen sich einfach durch ihr Sein und Wirken, die konstruktiven Energien zu verstärken. Auch das kann hier nur als Andeutung stehen.

Mehr dazu an anderer Stelle, wie zum Beispiel im Blog der Gailtaler Akademie und auf der Webseite Unser Mühlbach. Und vielleicht schaffe ich trotz Mangel an Zeit und Ruhe einmal einen Essay dazu.

Ich habe vor, einen kurzen neutralen Bericht von der Veranstaltung mit Fotomaterial auf einem meiner anderen Blogs zu veröffentlichen.

Ach, was hat man nicht alles vor…