Die Magie des Hörens

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Die Magie des Hörens und der Wandel
Gia Simetzberger

Man kennt mich als Augenmensch. Meine Kleidung muß farblich abgestimmt sein. Für Bilderaufhängen brauche ich keine Wasserwaage.
Und Gesprochenes sehe ich in Druckschrift laufen, wenn ich mich etwas mehr konzentriere.

Und dennoch oder gerade deshalb
bin ich bekennender Ö1-Fan und genoss unzählige Hörerlebnisse so bildhaft, dass sie mir realer erschienen als mein vertrautes Umfeld. Joachim Ernst Behrends „Die Welt ist Klang – eine Soirée vom Hören“ ist darunter. Opernnachmittage, Natur- und Wissenschaftssendungen, „Leporello“, Jazz und Folk gegen Abend und spannende Hörspiele, wie zum Beispiels eine Collage aus Spam-Mails.

Da war unlängst auch ein Mail-Chat, der in der beteiligten Frau Sehnsüchte weckte, doch der männliche unbekannt Bleibende vermied das von beiden angestrebte Date. Aus dem Leben gegriffen! Die musikalische Vorstellung eines italienischen Chansonniers war eine weitere Sternstunde, doch leider notierte ich den Namen nicht, vergass die Sendezeit und so bleibt mir mehr Hören dieser Entdeckung verwehrt.

Seit Ö3 nicht mehr ist, was es war, was wohl auch mit dem Exodus des Senders aus dem Funkhaus zu tun hat, und nach dem Aus für Radio Blue Danube bleibt mir gelegentliches Reinhören in FM4, doch weg sind all die guten und informativen Features wie „Musik aus dem Trichter“, „Musicbox“ und die „Hitparade“, die meine Begeisterung für anspruchsvollen Rock und Jazz weckten.

All diese Erlebnisschätze gelangten aus dem legendären Funkhaus in der Argentiniertraße zu mir, das ich noch nie betreten habe, aber das wohl ein eigenes Flair haben muss, das dem hohen Niveau der Sendungen entspricht.

Allerdings kenne ich den Küniglberg dank einer Führung durchs ganze Haus. Eindeutig erlebte ich ihn als eine gänzlich andere Welt. Eine Zusammenlegung dieser beiden Welten – jedenfalls ist das mein Gefühl! – kann nie und nimmer förderlich sein. Die Eigenständigkeit war bisher gut, warum ändern? Die örtlichen und räumlichen Parameter sollten daher unverändert bleiben.

Eigene Wurzeln, unabhängige Entfaltung. Ein traditionsreiches Haus hat sein eigenes Flair.
In meiner Heimat verlor ein Bergwirt seine Attraktivität völlig, seit er umbaute und „modernisierte“. Er hat den Geist des Ortes missachtet und die Tradition der Vorväter geschändet, das rächt sich. Radikale Änderungen haben ihren Preis.
Ö3 zog aus und verlor seine Faszination. Es muss also einen „Genius Loci“ geben, der anspruchsvolle Vielfalt entstehen lässt. Es liegt also nicht an den Menschen und Konzepten allein. Räume haben ihr Eigenleben. Wenn der Respekt dafür fehlt, geht offenbar etwas verloren.

Vermutlich gehört da wie dort alles noch ein bisserl entstaubt, vor allem jedoch entpolitisiert. Wünsche und Programmvorschläge hätte ich für alle ORF-Segmente zuhauf, und die Zwangsgebühr zahle ich knurrend, weil ich mehr und mehr andere Welten auf anderen Kanälen und im Web entdecke und immer seltener unsere heimischen Ikonen besuche, ja mittlerweile meine eigenen Dokumentationen und Kunstfilme produziere und hochlade, weil nun mal diese Möglichkeit besteht und ich meine Kreativität ausleben will.

Das Funkhaus aber ist ein altes Stück Heimat und Erinnerung. Die Live-Übertragungen aus dem Sendesaal…
Nun, das Herz brechen würde mir ein Künigl-Transfer nicht, denn alles hat einmal ein End‘. Und doch, der Abschied vom „echten Ö3“ war bitter genug und daher mein Aufschrei:
Jetzt nicht noch mehr Deformation, Degeneration, Deterioration und Verflachung anhand globaler Vermarktungskonzepte, die durch die beabsichtige Zentralisierung zu mutmassen ist.

Wenn es so weit käme, dann bin ich halt einfach weg auf anderen, frischen Kanälen – dort, wo ich mir „Honig holen kann“. Solange nicht auch diesen vielen Kleinen in diesen turbulenten Zeiten durch die zunehmende Beschneidung unserer bürgerlichen Freiheiten ein „Aus“ blüht. Sehr spannend jedenfalls, wie der Umbruch weitergeht. Wie es aussieht, wird die Zukunft den Medien gehören, die vielseitig, offen und authentisch sind. Man wird ja – hören.

08 06 2016